Krebs stellt alles in Frage: den Alltag, die Zukunft, das Dasein.
Gerade noch mitten im Leben. Plötzlich herausgerissen aus der Welt der Gesunden, Erfolgreichen, Aktiven, seiner Kraft beraubt, belastenden Therapien ausgesetzt und mit widersprüchlichen ärztlichen Prognosen konfrontiert, die über Sein und Nichtsein entscheiden: Julia Gardumi hat es erlebt. Ihre Krankheitsgeschichte begann im November 2013 – mit Rückenschmerzen. „Kein Wunder bei der Arbeitsbelastung“, dachte die junge Frau aus Neubiberg, die gerade ihr Referendariat als Grundschullehrerin absolviert hatte. Die Schmerzen hielten an. Die Gynäkologin fand keine Auffälligkeiten, der Orthopäde diagnostizierte zwei Bandscheibenvorfälle, die wochenlang behandelt wurden. „Ich wunderte mich, dass die Physiotherapie nicht half“, erinnert sich Gardumi. Massive Blutungen kamen hinzu. Auch eine notfallmäßige gynäkologische Untersuchung im Krankenhaus brachte kein Ergebnis. Erst als die Frauenärztin im Februar 2014 eine Ausschabung anordnete, fanden die Ärzte den vier mal sechs Zentimeter großen Tumor im Gebärmutterhals. „Es war eine Art Höhlenkarzinom, das nach oben wuchs und zuvor weder beim Abstrich noch im Ultraschall entdeckt wurde“, sagt die Patientin.
Der Tumor schien klar abgegrenzt, sei operabel, hieß es zunächst – 96 Prozent Wahrscheinlichkeit, gesund zu werden. Sehr fortgeschrittenes Stadium, wahrscheinlich mit Metastasen, befand der Spezialist in Leipzig, bei dem sich die Neubibergerin zur OP angemeldet hatte. Er empfahl eine Radio-Chemotherapie in München. Im Frühjahr, mitten in einer Phase von 60 Bestrahlungen und sieben Chemos, eine neue Schreckensnachricht: Sie habe Lungenmetastasen und nur noch sechs Monate zu leben. Nein, die Lunge sei in Ordnung, korrigierten die Mediziner kurz darauf, alles werde gut. Im November 2014 dann die traurige Gewissheit, mit der auch die Ärzte nicht gerechnet hatten: Der Primärtumor ist weg, aber die Metastasen haben sich im Körper ausgebreitet. Julia Gardumi erfährt, dass ihr Krebs nicht heilbar ist.
Aufgeben ist ausgeschlossen. Julia Gardumi, 38. Im November 2014 erfuhr die Grundschullehrerin, dass ihr Gebärmutterhalskrebs nicht geheilt werden kann. Julia Gardumis größter Wunsch: So lange wie möglich für meine beiden Kinder da zu sein. Dass andere sie aus Unsicherheit meiden, bedrückt sie. Mit ihrem autobiografischen Buch „unheilbar lebendig“ zeigt Julia Gardumi sich und anderen: „Ich bin trotzdem da!“
„Wir wurden ziemlich überrannt von dem Ganzen, immer wieder“, schildert die junge Frau. , Ständig diese Schocksituationen – das war furchtbar.“ Die Anonymität des großen Krankenhauses, die ständig wechselnden Ärzte und der Mangel an Empathie belastete sie zusätzlich. Heute, eineinhalb Jahre nach der Diagnose, hat sie sich von manchen Erwartungen gelöst. „Empathie bekomme ich in der Familie und bei Freunden“, bekundet die 38-Jährige pragmatisch. „Von den Ärzten erwarte ich Kompetenz, Erfahrung und sinnvolle Therapieentscheidungen.“ Den Medizinern macht sie keinen Vorwurf: „Man kann eine schlimme Diagnose nicht positiv vermitteln“. Aber auf Überlebensprognosen lässt sie sich nicht mehr ein. „Ich will keine Zahl, die sich in meinen Körper brennt“, sagt Gardumi entschieden. „Niemand kann sagen, wie viel Zeit wirklich bleibt.“
Ein Dasein im Bewusstsein der Endlichkeit, zwischen Angst und Hoffnung, Verzweiflung und Zuversicht. Fremd in der Welt der anderen, deren Leben eng getaktet ist zwischen Kindern, Partner und Beruf, während das eigene in einem anderen Rhythmus schwingt und reflektiert werden will. Das strengt an, macht dünnhäutig und manchmal einsam. Aber auch sensibel für das, was über den Alltag hinaus im Leben wichtig ist. Die zweifache Mutter organisiert schöne Momente mit ihrer Familie. „Die Kinder sollen nicht sagen: Ab dem Zeitpunkt, als Mama krank wurde, war es schlimm.“ Sie feiert mit Freunden. „Das habe ich vorher viel zu wenig getan.“ Und sie plant ihre Beerdigung. „Ich muss mich mit meinen Ängsten konfrontieren, dann werden sie kleiner.“ Ihr Mann habe andere Bewältigungsstrategien. Er denkt lieber positiv und glaubt daran, dass alles wieder gut wird. Das schafft Distanz und Sprachlosigkeit, obwohl – oder gerade weil – die Sehnsucht nach Nähe groß ist. Anfangs haben sie einander oft enttäuscht, Erwartungen gehegt, die nicht erfüllt wurden. Heute versuchen sie zu teilen, was in ihrer Partnerschaft möglich ist, und ihre Unterschiedlichkeit zu respektieren. „Jeder muss seine eigene Strategie behalten weil sie Teil seiner Persönlichkeit ist“, erklärt Julia Gardumi.
Ihren beiden Töchtern, sieben und 13 Jahre alt, hat sie nach langem Zögern die Wahrheit über ihre Diagnose gesagt. Am Anfang hatte ich enorme Angst davor“, gesteht sie, ,,aber ich wollte, dass wir alle die Chance haben, das Beste daraus zu machen.“ Rückblickend war es richtig, wie auch Gespräche mit Lehrern und Erziehern beweisen. Psychoonkologen empfehlen Eltern ebenfalls, mit ihren Kindern über die Krebserkrankung zu sprechen, um sie mit ihren Ängsten nicht allein zu lassen.
Julia Gardumi möchte ihren Kindern so viel Liebe und Geborgenheit geben, dass es hoffentlich bis zu ihrem Lebensende reicht“. Die beiden so lange wie möglich zu begleiten, ist ihr größter Wunsch. Ein anderer ist vor wenigen Monaten in Erfüllung gegangen. Über ihr Dasein zwischen den Welten hat die Krebspatientin ein sehr persönliches Buch geschrieben. „Es soll Mut machen und Gesunden vermitteln, wie wichtig es ist, das Leben bewusst zu gestalten“, erzählt sie (Infos unter blog.unheilbar-lebendig.com). Trotz einer erneuten Chemotherapie stellt Gardumi das Buch in Lesungen vor. Der Krebs mag ihr Leben einmal beenden -aus der Hand nehmen lässt sie es sich von ihm nicht.