Ich „erschwimme“ mir meine Traumfigur

Ich „erschwimme“ mir meine Traumfigur

Ich fühle mich schwerelos. Mein Körper ist federleicht. Lautlos gleite ich durch das warme Nass. Das Schwimmen ist meine neue Leidenschaft. Endlich kann ich mich wieder auf etwas freuen! Mein Highlight des Tages ist für andere der wahre Albtraum. Im Hochsommer gehe ich freiwillig in das Kinderbecken eines Hallenbades. Der Boden darf nur so tief sein, dass ich jederzeit anhalten und verschnaufen kann, denn eine lange Sportbahn schaffen meine Lungen nicht mehr. Außerdem genieße ich die 32 Grad Wassertemperatur. So verfroren wie ich bin, komme ich nicht mal in das Sportbecken hinein. Beim letzten Schwimmbadbesuch musste meine kleine Tochter zwangsläufig das Schwimmen lernen. Ich hatte ihr nämlich die Schwimmhilfe, die sogenannte „Nudel“, gemopst, da ich damit das Rückenschwimmen entdeckte. Vor lauter Langeweile übte mein Kleine also tapfer eine Stunde lang das Schwimmen, während ich voller Begeisterung das Rückenschwimmen in allen erdenklichen Varianten erprobte. Als ich ihr schließlich die Nudel zurückgeben wollte, verkündete sie stolz: „Du kannst sie behalten. Ich kann jetzt schwimmen!“

Dieser Sport half mir die Schmerzspirale zu durchbrechen. Bisher war jeder Schritt eine Qual, so dass ich nie spazieren ging. Je stärker die Schmerzen wurden, desto mehr lag ich im Bett, was wiederum neue Verspannungen auslöste und meine Muskeln schwächte. Dazu litt ich enorm unter der Passivität, da dies keineswegs meiner Persönlichkeitsstruktur entsprach. Im Gegenteil, ich brauchte Aktivität, um mich zu entspannen.

Im Wasser fühlt sich alles leicht an, auch die Schmerzen. Ich lasse los und gleite dahin. Anschließend fühle ich mich pudelwohl in meiner Haut. Ein gutes Körpergefühl vermisste ich schon allzu lange. Das gibt es gratis dazu. Endlich beginnt mein Körper fit zu werden, mein flacher Po wird wieder rund. Los geht’s, ich „erschwimme“ mir meine Traumfigur!

Der Freibrief

Der Freibrief

Erst Knall, dann Fall! Alles habe ich verloren. Es ist ungewiss, ob ich jemals in meinen Beruf zurückkehren werde. Ich bezweifle sogar, ob ich wieder zu mir selbst finden werde. Einst war ich dynamisch, autark, voller Ideen und Zukunftsträume. Jetzt raubt mir die Diagnose Stück für Stück meine Lebensenergie. So kraftlos, abhängig und zukunftslos erkenne ich mich nicht mehr. Der einzige Trost ist, dass es nicht schlimmer werden kann. Ganz unten bin ich angelangt und warte nun darauf, dass die Lebensspirale wieder nach oben steigt. Die Stimmen in meinem „Kopfkino“ raten mir: Nütze das aus! Du kannst aus der Rolle fallen und musst dich nicht einmal entschuldigen. Bei so einem miesen Schicksal ist alles erlaubt. Mein „Herzkino“ ist am Ende des Films angelangt und prahlt mit allem, was es zu bieten hat: Weltschmerz, Herzschmerz und Selbstmitleid. In den Tränenfluten wird es mir plötzlich bewusst. Jetzt oder nie! Ich hab den Freibrief erhalten, alles zu tun, was ich möchte. Keiner schaut mich in meiner Notlage schief an. Im Gegenteil, mein Umfeld dankt es mir, wenn ich mich sinnvoll beschäftige, anstatt im Tränenmeer zu ertrinken. Für jede noch so verrückte Idee bekomme ich sogar Zuspruch. Das ist der beste Moment, das zu leben, was man sich bisher nicht traute. Der Kritiker in mir – der sich für gewöhnlich so anhört: Das ist unmöglich. Das ergibt keinen Sinn. Das kannst du doch gar nicht. – hält sich erschöpft zurück und genießt seine Pause. Denn im Grunde hat er das Zweifeln endgültig satt. Seit meiner Erkrankung ergibt nämlich alles keinen Sinn mehr.

Auf diese Weise kam ich zu meinem Spaßberuf, der Schriftstellerei. In unserer Gesellschaft ist man ergebnisorientiert: Wir definieren den eigenen Wert über Geld, Macht, Luxus, Lob, Anerkennung… Es muss sich lohnen! Durch die Vernunft aber existieren wir nur, erst die Leidenschaften machen uns lebendig. Endlich bin ich frei von den Fesseln unserer Welt. Ich schreibe nur für mich, weil es mir gut tut. Das Schreiben schenkt mir Leichtigkeit. Es räumt in meiner Seele auf und schafft Platz zum Lachen und Träumen. So sehe ich klarer und gehe meinen Weg selbstbewusster. Als treuer Seelentröster bringt es mich sogar im Krankenhaus auf gute Gedanken. Somit habe ich eine Geheimwaffe gefunden, die immer funktioniert. Die einzigen Voraussetzungen sind Zeit und Muße. Für viele ist das Luxus, sie strampeln sich in ihrem Alltag ab, um ein bisschen davon für sich zu reservieren. Heute steht kein Berg vor mir, den ich noch abarbeiten muss. Im Gegenteil, ich sehe wunderschöne Täler, in denen ich wandeln kann als die Person, die mir gerade gefällt. Jeden Tag kommt ein neuer Himmel, eine weitere Chance zum Anderssein. Dieser Freibrief ist ein Stück Freiheit, die ich mir nie wieder nehmen lasse.

Liebe Leserin, lieber Leser, du bist mir wichtig!
Was ist dein Freibrief?
Welche Aktivitäten schenken dir Lebensmut?
Was ist dein Ventil, um mit deiner Trauer klar zu kommen?