Ich sterbe ein anderes Mal

Ich sterbe ein anderes Mal

Leider habe ich sehr lange nicht mehr geschrieben. Das hat einen Grund. Ich habe für einige Wochen alles verloren, meine Kraft, meinen Glauben, mein Urvertrauen in die Welt. Aufgrund einer unerwarteten Nebenwirkung der Chemo fand ich mich plötzlich dem Tod näher als dem Leben. Mein Immunsystem brach völlig zusammen, meine Leukos blieben trotz zahlreicher Leukozytenspritzen auf 0,2 stehen.  Diese Chemo galt als gut verträglich, so dass es ein großes Rätsel blieb, warum ich darauf so überaus sensibel reagierte. Niemand hatte einen Rückfall erwartet, im Gegenteil, ich ging positiv und angstfrei in die Therapie. So traf mich dieser Schock besonders hart. Von meinem 3wöchigen Klinikaufenthalt verbrachte ich 2 Wochen „umkehrisoliert“, d.h. ich musste vor jedem Keim geschützt werden: Aufgrund der hohen Infektionsgefahr durfte ich mein Zimmer nicht verlassen. Alle Ärzte, Pfleger, Besucher erschienen in sterilen grünen Kitteln mit Mundschutz. Ich kam mir vor wie auf einem anderen Planeten, gefangen genommen von Außerirdischen. Bisher hatte ich mir immer vorgestellt, dass ich erst dann gehen würde, wenn ich alles gegeben hätte, jahrelang tapfer alle möglichen Kämpfe geführt hätte. Doch niemals hätte ich erwartet aus Versehen, wegen einer medizinischen Unverträglichkeit, zu sterben. Das lag mir völlig fern. Für mich passt das Sterben zum Charakter eines Menschen. Man stirbt so, wie man auch gelebt hat. Und mein Leben ist, in guten wie in schlechten Zeiten, immer lebendig und leidenschaftlich.

 

Schließlich machte mich mein körperlicher Rückfall wütend. Zwei Lesungen lagen vor mir, die ich voller Freude geplant und vorbereitet hatte. Diese Erkrankung würde mir nicht schon wieder meine Ziele wegnehmen. Ich war stinksauer! Den ganzen Tag schimpfte ich meine Leukozyten, sie sollen sich gefälligst bewegen und sich nicht so gehen lassen. Seit Tagen las ich meine schriftlichen Blutwerte ohne sichtbaren Fortschritt. Aus purer Verzweiflung schnitt ich das Wort „Leukozyten“ vielfach aus und verteilte es in meinem Zimmer. Überall, wohin ich schaute, klebte nun dieses Wort: auf dem Fenster, an der Wand, auf dem Spiegel im Bad … Mit jedem Blick erinnerte ich meine Leukos daran, dass sie sich gefälligst anstrengen müssen. Und siehe da! Am nächsten Tag gingen sie hoch – endlich! Meine erste Lesung war gerettet.

Und da war er wieder, mein Glaube. Schließlich bin ich nicht gestorben. Das ist es, was zählt. Ich habe schon wieder meiner Erkrankung gezeigt, wer hier das sagen hat. Meine Todesängste überwindete ich mit der nächsten veränderten Chemotherapie, die gottseidank normal ablief. Ängste lassen sich nur mit guten Erfahrungen löschen. So wurde ich wieder zurück ins Leben geschmissen. Natürlich wird mein Körper noch eine Weile brauchen, bis er sich von diesem Tiefpunkt erholt hat, aber ich habe auch einiges nachzuholen: Artikel zu meiner Person werden Sie im Herbst in den Magazinen „Fokus Gesundheit“ (Artikel „Das Leben bewältigen“ auf S. 22; Ausgabe Oktober/November vom 15.9.15), „Freundin“ (Artikel „Das macht uns stark!“ auf S. 166; Ausgabe 22/2015 vom 7.10.15) und „Mamma Mia!“ (Artikel „Plötzlich unheilbar“ auf S. 10; Ausgabe 4/15 vom 21.9.15) lesen.

Trotzdem Leben

Trotzdem Leben

Mit Leidenschaft und Herzblut lebte ich schon immer die Höhen und Tiefen meines Lebens. Ehrlich gesagt, brauchte ich keinen Schicksalsschlag um zu erkennen, wie kostbar das Leben doch ist. Das wusste ich schon vorher! Immer habe ich selbstbestimmt gelebt und mir versucht all meine kleinen Träume zu erfüllen. Neuanfänge hatte ich genug in meiner Biografie. Auch dafür benötigte ich meine Krebserkrankung gewiss nicht. Meine Suche nach dem Traummann und dem Traumberuf dauerte ein ganzes Jahrzehnt. Großzügig gab ich mir immer wieder die Chance mein Leben zu überdenken und es neu zu gestalten. Zu einer bewussteren Lebensführung konnte meine Krankheit nicht wesentlich beitragen. Keinesfalls also werde ich mich bei Gott für meinen Schicksalsschlag bedanken. Im Gegenteil, ich hatte ein wunderbares Leben, weil ich so lebte, wie ich es für richtig hielt: Sei es als alleinerziehende Mutter oder verheiratete Ehefrau, sei es als gut verdienende Grafikdesignerin oder als engagierte Grundschullehrerin.

Dann geschah es, das Schicksal warf mich aus der Bahn! Es löschte in der Blüte meines Lebens schlagartig all meine Zukunftspläne. Früher sah ich das Leben als unendliche Straße voller Abzweigungen und Türen. Jeden Tag hatte ich die Wahl, zu bleiben, zu reisen oder umzukehren, wenn ich mich verirrt hatte. Immer gab es ein Tor, das aufging und mir im Leben weiterhalf. Heute führt mein Weg in eine Einbahnstraße zu der Endstation „unheilbar“. Hier führt keine Spur zurück, hier gehen keine Türen mehr auf. Trotzdem werde ich täglich Umleitungen bauen, um neuen Lebensmut zu finden. Vielleicht gelingt es mir auch überirdische Himmelspfade oder unterirdische Gänge zu erschaffen, die mir Hoffnung schenken: Hoffnung auf ein Wunder! Ich finde, ich hätte ein Wunder verdient!

Liebe Leserin, lieber Leser, du bist mir wichtig!
Haderst du mit deinem Schicksal?
Leidest du unter dem „Un-Sinn“?
Hoffst auch du auf ein Wunder?